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Ich hab's gern urig wie zu Omamas Zeiten (Der Standard, 15.02.2014)

Erwin Gegenbauer betreibt die kleinste professionelle Essigbrauerei der Welt. Sein Haus in Wien-Favoriten ist ein archaisches Epochenkabinett. Alles ist erlaubt, erfuhr Wojciech Czaja, nur eines nicht: Designer-Chichi.

"Ich bin hier im Zehnten aufgewachsen und bin, so gesehen, ein echtes Favoritner Urgestein. Ich wohn in einem Haus, das 1898 von der Ziegelindustrie als Arbeiterwohnhaus errichtet wurde. Oben auf dem Wienerberg wurden die Ziegel gestochen und gebrannt, hier unten am Ende des Laaer Waldes, wo heute rundherum längst schon alles zugebaut ist, haben die sogenannten Ziegelpracker gewohnt. Das polykulturelle Ambiente hat sich bis heute erhalten. Ich mag das. Im Haus nebenan gibt's sogar eine kleine Moschee. Mit dem neuen Hauptbahnhof nebenan wird das Viertel wohl eine ziemliche Aufwertung erfahren.

standard1"Ich mag es, wenn sich in einem Gebäude die Zeit manifestiert." Der Wiener Essigwinzer Erwin Gegenbauer in seinem Wohnzimmer. (Foto: Lisi Specht)

"Ich mag es, wenn sich in einem Gebäude die Zeit manifestiert." Der Wiener Essigwinzer Erwin Gegenbauer in seinem Wohnzimmer. (Foto: Lisi Specht)Bis auf wenige Pausen hab ich eigentlich immer hier in diesem Haus gelebt, auch der Essigbetrieb meines Vaters war immer schon hier angesiedelt. Ich kenn das Gebäude wie meine Westentasche. Die Wohnung, wie sie jetzt ist, gibt es jetzt seit circa zehn Jahren. Damals haben wir sie entkernt und saniert. Dazu gehört, dass wir im Wohnzimmer den Putz abgeschlagen und die Ziegelwand freigelegt haben. So schön! Wie kann man etwas so Tolles nur verstecken? Ich mag es, wenn man ein Gebäude lesen kann, wenn sich die Zeit auf diese Weise manifestiert.

Auch die Decke haben wir freigelegt. Der Schilfputz wurde entfernt, und zum Vorschein kam die alte, originale Dippelbaumdecke. Allerdings mussten wir, um die Spalten zu schließen, die Holzbalken abdichten, was uns letztendlich mit einer Art elastischer Gipsmasse gelungen ist. Es hat Jahre gedauert, bis die Decke wirklich dicht war. Bei Temperaturschwankungen rieselte uns regelmäßig die Dachbodenbeschüttung in die Suppenteller. Da hast dir dann den Pfeffer sparen können. Meine Frau hat mich damals gehasst. Heute passt's.

Der Parkettboden stammt noch aus den Siebzigerjahren. Mir haben die Seventies ja immer schon gut gefallen. Ich war damals in meinen Teens, für mich war das eine Zeit voll von Erlebnissen und sexueller Freiheit. Wahrscheinlich fühle ich mich der Zeit aus diesem Grund so verbunden, wie man an meinen Hosen und durchgeknallten Hemden sieht.

Ganz generell bin ich ein Anhänger der Verbindung von Tradition und Moderne. Das ist mir sehr wichtig, und zwar nicht nur in meinem Betrieb, sondern auch im Privatbereich. Zum Beispiel haben wir hier im Wohnzimmer einen alten Ofen, den wir zum Heizen, aber auch zum Kochen und Brotbacken verwenden. Wir kochen mit richtigem Feuer. Das ist archaisch, das ist urig, das ist wie vor hundert Jahren. Eigentlich ist das Kochen - wenn auch nicht jeden Tag mit diesem Aufwand betrieben - ein sehr zentraler Punkt in unserem Leben.

Alles, was nicht modern ist, alles, was Geschichte hat und nicht tot ist, taugt mir. Womit ich aber überhaupt nichts anfangen kann, das ist schicke Büchsenarchitektur wie aus dem Schöner-Wohnen-Katalog. Architekten und Designer machen mich richtig nervös. So könnte ich nicht leben. Bei mir fließen Wohnen und Arbeiten stark ineinander. Arbeiten ist etwas sehr, sehr Schönes. Vis-à-vis auf dem Dach im Hinterhof sind meine Balsamessig-Fässer gestapelt, und jedes Mal, wenn ich aus der Küche da rausschau, freu ich mich wie ein Kind.

Wir haben schon Pläne für die Zukunft. Erstens wollen wir die Wohnung umbauen und heller gestalten, wollen zum Beispiel die Ziegelmauer mit weißer Kalkfarbe behandeln, andererseits wollen wir hier im Haus ein paar Gästezimmer einrichten und unsere Betriebsküche im Erdgeschoß ausbauen. Später einmal will ich für Freunde, Bekannte und Gäste aufkochen, aber kein Mickey-Mouse-Kochen mit Chichi für drei Leute, sondern ein Aufbrutzeln wie zu Omamas Zeiten."

Erwin Gegenbauer, geb. 1961 in Wien, lebte nach der Matura in Bodrum, Paris, London und New York und hielt sich mit mehreren Gastronomiejobs über Wasser. 1987 kehrte er nach Wien zurück und war im Management seines väterlichen Betriebs tätig. 1992 übernahm er das Unternehmen, verkaufte die bestehenden Konservenfabriken und strukturierte komplett um. Heute leitet er mit acht Mitarbeitern und einem Geschäft am Naschmarkt die kleinste professionelle Essigbrauerei der Welt. Er hat 60 Essigarten und 25 Öle im Verkauf. Zwei Drittel der Erzeugnisse werden exportiert.